
Gastbeitrag Karin Heeren
Luftpost an den lieben Gott
Vor einigen Monaten hat sich mein Leben auf einen Schlag geändert. Bis zu dem Tag, als es passierte, war ich ein richtiger Workaholic. Nur meine Arbeit hatte ich im Kopf und wie ich schnell viel Geld verdienen konnte. Mein Leben war, um es vorsichtig auszudrücken, öde und langweilig.
Es geschah viel, andererseits auch nichts. Rein gar nichts. Ich fuhr nie selbst. Da ich im Auto prima meine Mails beantworten konnte oder was sonst noch so an Papierkram anlag, hatte ich einen Chauffeur. Keine Zeit verschwenden war mein Motto. Aber dass Zeit auch etwas wunderbares sein kann, lernte ich sozusagen aus heiterem Himmel.
Ich war etwas verwundert, als mein Fahrer plötzlich und unerwartet auf die Bremse trat und laut vor sich hin fluchte. „Was ist denn passiert Hannes?“ „Mir ist gerade ein Luftballon auf die Windschutzscheibe geknallt und der hat sich im Scheibenwischer verfangen. Ich muss anhalten und ihn lösen.“ „Na so was, wo kommt der denn her? Hier ist doch weit und breit kein Mensch zu sehen.“ „Ich weiß es nicht Herr Bender… “, sagte Hannes zuckte mit den Schultern und stieg aus.
Der grüne Ballon hatte sich regelrecht verheddert und es dauerte eine Weile bis er ihn vom Wischer entfernt hatte. „Da ist eine Karte dran Herr Bender, möchten Sie sie lesen?“ „Danke Hannes, gerne.“ Ich hatte als Kind auch solche “ Luftpostbriefe“ verschickt und fand es lustig, dass gerade mir so einer vors Auto flog…
Aber mit dem, was ich dann las, hatte ich wirklich nicht gerechnet und der Knoten, der meinen Hals zuschnürte, nimmt mir heute noch die Luft zum Atmen wenn ich daran denke …
Lieber Gott!
Ich heiße Christina, bin acht Jahre alt und liege gerade im Krankenhaus. Aber das weißt du ja sicher… Du weißt sicher auch, dass ich Leukämie habe und meine Mama noch keinen Spender für mich gefunden hat. Darum schreibe ich an dich! Bitte hilf ihr, damit ich sie nicht alleine lassen muss.
P.S. Ich wusste die Adresse vom Himmel nicht, darum binde ich diese Karte an dich an einen Ballon.
In Liebe deine Christina
Da saß ich nun, mit einer Karte an Gott in der Hand und wusste nicht was ich tun sollte. Ein kleines Mädchen kämpfte um sein Leben und ich hatte nichts Besseres zu tun, als an der Börse zu spekulieren und mich von meinem Chauffeur hin - und herfahren zu lassen. „Hannes, wie weht der Wind?“ „Wie bitte?“ „Na, du hast schon richtig gehört, aus welcher Richtung kommt der Wind?“ Hannes stutzte, machte seinen Finger mit Spucke nass und hielt ihn nach oben. „Wir haben Ostwind, Herr Bender.“ „Also schön, fahren wir nach Osten und suchen das Krankenhaus!“ „Aber Ihre Termine!“ „Ach was… ich pfeife auf meine Termine, dieses Kind braucht Hilfe. Ich bin nicht der „liebe Gott“, aber der Ballon ist sicher nicht umsonst an unserem Wischer hängen geblieben.“
Wir haben das Krankenhaus tatsächlich gefunden und das richtige Mädchen. Christina war wirklich ein tolles Kind. Sie war trotz allem immer fröhlich und gut gelaunt. Sie hatte wegen der Chemo-Therapie keine Haare mehr, war blass wie eine weiße Wand, aber ihr Lächeln ließ die Sonne aufgehen.
Als sie hörte, dass ich ihren Ballon gefunden hatte, sagte sie überglücklich: „Siehst du Mami, ich wusste doch, dass Gott uns nicht im Stich lässt, er hat Christian geschickt, um zu helfen. Stimmt’s, Christian? Du bist mein Engel!“ Als sie mich „Ihren“ Engel nannte, wusste ich, dass ich die einzig richtige Entscheidung getroffen hatte.
Ich arbeitete nur noch das Nötigste, ansonsten war ich in der Klinik oder versuchte, Stammzellespender und Geld aufzutreiben. Beides erwies sich als äußerst schwierig, aber es gab dennoch genug Menschen die helfen wollten. Zu guter Letzt veröffentlichte ich Christinas Brief an Gott in mehreren Tageszeitungen. Und das war’s!
Eine Frau aus der Nachbarschaft, war so gerührt dass sie sich gleich testen ließ. Sie war Christinas genetischer Zwilling! Und sie durfte spenden. „Danke, Christian, ich wusste, dass du es schaffst.“ „Na ja, ich habe es versucht. Aber jetzt kommt es auf dich an, das weißt du, oder?“ „Ja klar, aber mit dir und Mami und dem lieben Gott kann es ja nur klappen. Und wenn nicht, dann passt du auf Mami auf, ja? Ich habe mir doch gewünscht, dass sie nicht alleine bleibt.“ „Sicher, aber mir wäre es lieber, du bleibst und hast selber ein Auge auf sie.“ „Warum tust du das? Ich meine, wir waren doch Fremde für dich. Du hättest die Karte auch wegwerfen können.“ „Wer weiß, vielleicht bin ich ja wirklich ein Engel! Und außerdem… wie kann ein Christian einer Christina nicht helfen wollen? Das kann kein Zufall sein…“
Dann war er da, Christinas großer Tag und über uns schwebte die Angst. Es wirkte alles so bedrohlich aber dennoch hatten wir Hoffnung. Ich wusste gar nicht, dass ich solche Gefühle wie Angst und Liebe so starkempfinden konnte. „Hast du eigentlich gewusst, dass deine Tochter so besorgt um dich ist, dass sie einen Hilferuf an Gott geschickt hat?“ „Nein, sie hat mir zwar immer gesagt, dass sie keine Angst um sich hat, auch nicht davor, dass sie sterben könnte, aber von mir war nie die Rede.“ „Christina hat mich gebeten, auf dich aufzupassen, Hanna.“ „Das sieht ihr ähnlich!“ „Sie ist für ihre acht Jahr schon sehr vorausschauend und sehr erwachsen. Ich habe in der kurzen Zeit viel von ihr gelernt. Und dafür danke ich ihr.“
Hinter uns ging eine Tür auf, ein ganzer Pulk Ärzte kam auf uns zu. Auf ihren Gesichtern konnte man keinerlei Gefühle a
blesen. Sie sahen alle so aus, als könnten sie sich nicht einigen was es zum Mittagessen geben sollte. Nicht mal die Mundwinkel waren nach oben oder unten gerichtet, das machte mich noch nervöser als ich es sowieso schon war. Dann schlich ein kleines Lächeln über die bärtige Miene des Chefarztes. „Christina war wirklich sehr tapfer, jetzt heißt es noch mal warten. Aber ich denke, es geht gut.“
Wir durften zu ihr, wenigstens in ihre Nähe. Und nur gut geschützt und desinfiziert. Denn kein einziger Keim durfte zu ihr dringen. Christina war noch nicht ganz wach, aber ab und zu huschte ein winziges, kurzes Lächeln über ihr fahles, erschöpftes Gesicht. Dieses süße, gewinnende Lächeln. Ich stand mit einem Strauß grüner Luftballons in der Hand vor der gläsernen Trennscheibe und hoffte, dass sie mich sieht … Ihren Zufallsengel. Vor ein paar Wochen noch waren mir Geld und Erfolg am wichtigsten, aber seit dieser Luftballon in mein Leben geweht ist und mit ihm Christina, wusste ich, was wirklich wichtig war für mich. Es sah aus als würde Christina mir zublinzeln, aber sie schlief ruhig und friedlich. Hanna war überglücklich und umarmte mich mit all ihrer Kraft die sie noch hatte. „Weist du, dass hätte meine Kleine jetzt auch getan wenn sie es könnte. Aber sie wird es sicher nachholen; und im nächsten Sommer machen wir alle zusammen Urlaub auf dem Bauernhof. Das hat sie sich schon lange gewünscht. Es ist noch ein langer Weg, aber ich zweifele nicht eine Sekunde daran, dass sie es schafft. Sie hat das Herz einer Löwin!“ „Keine schlecht Idee, ich liebe Schafe und Ochsen… war jahrelang selber einer! Wir wollen es ihr nachher gleich erzählen, dann hat sie etwas worauf sie sich freuen kann.“ „Danke, Christian!“ „Ach was… der Dank gebührt Christina, und noch einem. Und ich weiß auch schon wie wir es ihm sagen…“
Ich nahm die grünen Luftballons, knotete an jeden eine Karte und ließ sie aus dem Fenster fliegen. Ich war mir sicher, diesmal war es die richtige Adresse, denn die Botschaft war klar:
“ P.S. Danke, dass du bei uns bist!“
© Karin Heeren
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